Interview Afghanistan-Veteran: "Die Politik hat viel Vertrauen gegenüber den Soldaten verspielt"
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Nach 20 Jahren Einsatz ist die Bundeswehr in der vergangenen Woche aus Afghanistan abgezogen. Die Taliban haben die Macht übernommen und viele fragen sich nun: Waren am Ende alle Anstrengungen umsonst? Tobias Strahl hat die Veränderungen in Afghanistan aus nächster Nähe erlebt. Erstmals kam der gebürtige Dresdner 2005 als Journalist in das Land am Hindukusch und kehrte von Juli 2010 bis Januar 2011 als Bundeswehrsoldat zurück. Im Interview schildert er, wie er die Lage jetzt bewertet.

Herr Strahl, nach ihrem Einsatz als Bundeswehrsoldat sagten Sie 2012: "Ich halte den Einsatz in Afghanistan für richtig." Würden Sie das heute immer noch sagen?
Tobias Strahl: Unbedingt. Und ich halte seine Beendigung für einen großen Fehler. Generell und insbesondere die Art seiner Beendigung.
Erläutern Sie das bitte.
Ich denke, wenn man sich einmal für einen Einsatz entschieden hat, dann sollte man auch einen langen Atem haben und sich nicht einfach verabschieden, wenn es politisch nicht mehr opportun ist.
Der frühere Diplomat Wolfgang Ischinger erklärte kürzlich, dass es in Afghanistan das Hauptziel der US-Amerikaner gewesen sei, Terroristen zu jagen, während in Deutschland die Vorstellung populärer gewesen sei, Schulen für Mädchen zu bauen. Folgerichtig vermieden es Politiker lange, überhaupt vom "Krieg" zu reden. Haben wir uns da etwas vorgemacht?
Die Bundeswehr ist ein Stiefkind deutscher Politik, der Einsatz in Afghanistan war es insbesondere. Dort gab es für Politikerinnen und Politiker eigentlich nichts zu gewinnen. So ein Einsatz hat nicht das Potential für politische Profilierung in einer Gesellschaft, die von Krieg nichts wissen will. Schulen für Mädchen kann man noch einigermaßen gut verkaufen. Da stimmen auch die Bilder. Bei gefallenen Frauen und Männern ist das etwas anderes.
So begleitete den Einsatz von Anfang an eine gewisse Scham. Eine Halbherzigkeit seitens der Politik. Irgendwie ist da die Bündnisverpflichtung, aber so richtig da sein wollte man auch nicht. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Einsatzes: fehlende Ausrüstung, nicht ausreichend gepanzerte Fahrzeuge, die Unmöglichkeit, Verwundete aus Kampfzonen zu fliegen…
Lange galt der Satz: Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt. Sollten die Taliban bestimmten Gruppen Zuflucht gewähren, könnte der schnell wieder aktuell werden. Teilen Sie diese Befürchtung?
Nun, die Experten sind sich da weitestgehend einig. Der Politikwissenschaftler Carlo Masala sagte in einem Interview kürzlich: "Der Unterschied zwischen den Taliban 1996 und 2021 besteht darin, dass die Taliban jetzt auf Twitter sind." Das sagt eigentlich alles. Man muss sich da keinen Illusionen hingeben. Analysten aus den Vereinigten Staaten sehen Al-Qaida längst wieder in Afghanistan präsent.
Viel wichtiger finde ich, dass wir jetzt einmal unsere eigene Rolle in dem Desaster genauer anschauen. 20 Jahre lang hat man immer wieder erklärt, wie wichtig der Einsatz in Afghanistan sei. Der berühmte Satz von Peter Struck ist zum geflügelten Wort geworden. Ich wünsche mir, dass deutsche Politiker nun mit demselben Nachdruck erklären, warum es so wichtig ist, dass wir nun nicht mehr am Hindukusch sind. Da ist viel Vertrauen, gerade gegenüber Soldatinnen und Soldaten, verspielt worden.
Warum ist es notwendig, dass wir unsere eigene Rolle klären?
An der Gesellschaft, in der wir leben, dem Frieden, der Sicherheit, dem Luxus, klebt ein Preisschild. Auch darüber sollten wir offen sprechen. Und dann entscheiden, ob wir als Gesellschaft bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Sonst stehen wir bald wieder vor einem ähnlichen Scherbenhaufen wie in Afghanistan. Auch Mali hat das Potential dazu. Wir sollten aufhören, uns gegenseitig die Taschen vollzuhauen.
Wie realistisch ist es, dass der Einsatz der Bundeswehr zumindest eine Art Samenkorn in den Boden gesetzt hat, das vielleicht später einmal zu nachhaltigen Veränderungen in dem Land führt?
Das lässt sich aus heutiger Sicht nicht sagen. Im Moment bricht die humanitäre Versorgung der afghanischen Bevölkerung zusammen, die Scharia wird flächendeckend wieder eingeführt und das Schicksal des Landes liegt in den Händen einer religiös-fundamentalistischen Sekte und Kriminellen, die ihre Milizen über den Verkauf von Opium finanzieren. Ich erwarte da keine Wunder.
Kurzbiografie:
Tobias Strahl wurde 1978 in Dresden geboren und war in verschiedenen Krisenregionen im Einsatz. Als Gebirgsjäger der KFOR diente er zunächst 1999 im Kosovo, bevor er ab Juli 2010 als Chief Print Group der Combined und Joint Psychological Operational Task Force (CJPOTF) in Kabul im Hauptquartier der ISAF eingesetzt war.
Als Chef der Mediensektion war er in Afghanistan für 258 Großplakatwände, sämtliche Druckerzeugnisse sowie für die im zweiwöchentlichen Rhythmus erscheinende dreisprachige Zeitung (Englisch, Dari, Paschtu) Sada-e Azadi verantwortlich.
Die Aufgabe führte ihn auch nach Kunduz in den Norden, Herat im Westen und Khowst im Osten des Landes. Nach seinem Einsatz in Afghanistan promovierte Strahl an der TU Dresden. Als Offizier der Reserve im Dienstgrad des Majors arbeitet er als Interkultureller Einsatzberater der Bundeswehr.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 02. September 2021 | 11:11 Uhr
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