Taliban-Vormarsch Nach Truppenabzug: Ortshelfer der Bundeswehr fürchten um sich und Angehörige
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Nach dem internationalen Truppenabzug aus Afghanistan erobern die Taliban das Land rasant. Viele ehemalige Ortshelfer der Bundeswehr fürchten um ihr Leben und das ihrer Familien. Ein Patenschaftsnetzwerk beklagt die langsame Bürokratie für gefährdete Helfer. Zwei ehemalige Ortshelfer, die heute in Erfurt leben, erzählen von ihren Sorgen und Erfahrungen.

Wenn Rahmatullah Batoor, der heute in Erfurt arbeitet, die Nachrichten aus Afghanistan liest, dann wird sein Herz plötzlich ganz eng. Der Vormarsch der Taliban scheint unaufhaltsam. Heute wurde Kabul angegriffen. Die Bilder der Tausenden von Menschen auf der Flucht, von Krieg und Zerstörung, von Elend und Schmerz lassen ihn nicht mehr los.
Die afghanische Bevölkerung ist nur Opfer und mit ihr wird gespielt. Und das macht mich als Mensch, der beide Seiten erlebt hat, so wütend und so kaputt.
Auch wenn er mittlerweile im sicheren Deutschland lebt, seine Angehörigen sind inmitten des Chaos. Als Angehörige einer religiösen Minderheit, mussten sie sich schon immer vor den Taliban verstecken. Wurden unterdrückt, gefoltert und ermordet.
Vor 14 Tagen war er in Kabul, hat viele völlig desillusionierte Afghanen getroffen. Kein Wunder nach über 40 Jahren Krieg. Auch die Bundeswehr war 20 Jahre in Afghanistan, hat dort viel aufgebaut, Vertrauen bei der Zivilbevölkerung erlangt.
Truppenabzug: Das Land sich selbst überlassen
Doch nun sind sie abgezogen, genau wie die Amerikaner. Haben das Land und dessen Bewohner sich selbst überlassen. Zynisch bemerkte US-Präsident Joe Biden, man hätte die Afghanen ja gut ausgebildet und mit Waffen versorgt – nun müssten sie auch einmal kämpfen. Das sagt sich leicht aus dem fernen Washington. Die 3.000 Soldaten, die er jetzt nach Afghanistan entsandt hat, sollen nicht etwa an der Seite der afghanischen Armee kämpfen, sondern nur den Abzug der letzten Truppen und Diplomaten sichern.
Ehemaliger Dolmetscher: Keine Hoffnung für Afghanistan
Ortskräfte wie Amin Sarkhosh haben der Bundeswehr geholfen, überhaupt erst einmal Kontakt zu den Afghanen zu bekommen. Heute lebt er in Erfurt. Vier Jahre hat er als Dolmetscher für die Deutschen gearbeitet, bis es viel zu gefährlich für ihn wurde. Heute, sagt er, würde er sich das genau überlegen, auch wenn das Geld damals das Überleben seiner Familie sicherte. Die Bundeswehr hätte viel erreicht in Afghanistan. Infrastruktur geschaffen und den Menschen wieder Hoffnung gegeben.
Dass aber die Truppen abgezogen wurde, sei viel zu früh gewesen. Hoffnung hat er schon längst nicht mehr für Afghanistan.
Ortshelfer fürchten um das Leben der Angehörigen
Für die Ortshelfer der Deutschen bedeutet der Vormarsch der Taliban Angst um das eigene und das Leben ihrer Angehörigen. Denn der Dienst für die Ungläubigen werde als Verrat von den Taliban gesehen. Die Bundesregierung wollte zunächst nur die Ortskräfte und ihre Angehörigen ausfliegen lassen, die in den letzten zwei Jahren für die Bundeswehr gearbeitet hatten. Mittlerweile ist diese Einschränkung gefallen und weitere 1.500 Menschen sind ausreiseberechtigt. Rund 1.800 sind bereits in Deutschland.
Kein Ausreiserecht für zahlreiche Helfer
Für Millionen Afghanen, deren Land erneut in einem blutigen Bürgerkrieg zurückzufallen droht, gibt es diese Hoffnung nicht. Für die Ortskräfte, die für das Auswärtige Amt oder Sicherheitsfirmen gearbeitet haben, gibt es derzeit keinen Anspruch auf Ausreise. Auch weil die Ausreise der gefährdeten Ortskräfte so schleppend angelaufen ist, haben sich ehemalige Bundeswehrsoldaten Hilfsinitiativen gestartet, die Geld für Charterflüge sammeln. In Thüringen sind bislang 57 Ortskräfte angekommen. Mindestens hundert weitere werden folgen. Wenn sie denn noch rechtzeitig aus dem Land herauskommen.
Patenschaftsnetzwerk: Deutschland hat Verantwortung für Helfer
Sven Fiedler engagiert sich im Verein "Patenschaftsnetzwerk afghanische Ortskräfte". In seinen Augen hat Deutschland eine Verantwortung gegenüber den Ortskräften. Der Bürokratismus ärgert ihn:
In unseren Augen kann es nicht sein, dass wir mit der Visaerstellung uns aus bürokratischer Sicht so lange Zeit lassen, bis die Taliban das ganze Land kontrollieren und die Menschen eh nicht mehr ausreisen können.
Rund 100.000 deutsche Soldaten waren am Hindukusch. Nicht einmal das kann man genau sagen, die Zahlen sind Schätzungen. Klar ist aber, dass nach den USA und Großbritannien die Deutschen die meisten Truppen stellten. 59 deutsche Soldaten kamen bei dem Einsatz ums Leben.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 15. August 2021 | 19:00 Uhr
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